Hinterhofträume liest sich wie ein Stadtspaziergang:
In sechzehn Kurzgeschichten begegnen wir Menschen, deren Leben eher fernab der schicken Vorderhäuser stattfindet. Wir erfahren von ihrem Leben in der Stadt, ihren Träumen, Sorgen und Stärken, verpassten Chancen und den Bildern in ihren Köpfen.
Wieder sind es intensive Begegnungen und Gedanken, die auch außerhalb der Buchdeckel nachwirken. Sie lassen uns schmunzeln, aber sie fordern uns auch zum Perspektivenwechsel auf. Für kurze Zeit gehen wir in den Schuhen eines anderen, entdecken Neues und sehen dabei so manches mit anderen Augen.
gebundenes Buch
14 Kurzgeschichten | 152 Seiten
Format: 12,8 x 20 cm
ISBN 978-3-7528-6840-1
Art.Nr. KB-B-1
ebook
ISBN 978-3-7528-9133-1
erhältlich im regulären Buchhandel
Verlag: BoD Norderstedt
inkl. 7% Mehrwertsteuer
Abweichende Preise für gewerbl. Besteller
Ich sitze vor der alten Bastide unter den hundertjährigen Platanen, die meinem kleinen Paradies Schatten spenden. Hin und wieder lugt ein Sonnenstrahl vorwitzig durch das dichte Blätterdach und tanzt ein wenig auf dem feinen Kies zu meinen Füßen. Hinter meinem Rücken bröckelt währenddessen langsam und unaufhörlich der feine sandbraune Putz von der Hauswand. Was bleibt sind immer größer werdende hellerbraune Flächen, die sich – ähnlich großen Wasserflecken – allmählich um das ganze Haus spannen.
La Vieille Dame, die alte Dame, wie ich das Haus liebevoll nenne, hat eine lange Geschichte hinter sich. Ursprünglich als Bauernhaus erbaut, hat es ebenso viele Familien beherbergt wie hier Kinder das Licht der Welt erblickt haben. Irgendwann fiel es für einige Jahre in einen verlassenen Dornröschenschlaf, bis ein liebevoller Geist in Form eines kauzigen Briten sich der verwunschenen Schönheit annahm. Skeptisch beäugt von den Nachbarn, kopfschüttelnd belacht von Handwerkern und Freunden erweckte er schließlich die alte Dame zu einem zweiten Leben inmitten von Lavendelbüschen, Rosenstöcken und Hortensienhecken.
La Vieille Dame ist ein ganz besonderer Rückzugsort, an den es mich schon immer gezogen hat, wenn das Leben wieder einmal seine Haken schlug. Hier heulte ich mir meinen Liebeskummer von der Seele, während Véronique mir lauwarmes, selbstgebackenes Brot und Tapenade bereitstellte. Hier verkroch ich mich nach meiner Scheidung – und wieder war es Véronique, die mich gesund kochte. Überhaupt schien es nichts auf der Welt zu geben, was nicht in ihrer Küche wieder geheilt werden konnte. Sie hatte für jede Situation die richtige Mahlzeit, für jeden Kummer das richtige Rezept. Ihre Kräuterküche schmeckte auch im Winter sommerfrisch und verlieh mir Kraft, mich erneut dem Kampf zu stellen. Immer wieder.
Es ist ein großes Geschenk, einen solchen Ort in seinem Leben zu haben. Ganz gleich, ob er blaue Fensterläden und nach Lavendel duftende Bettwäsche trägt. Ganz gleich, ob er in einem einsamen Winkel des Lubéron liegt oder anderswo. Wichtig ist, dass ein Herz in ihm schlägt. Wichtig ist die Geborgenheit, die so ein Ort ausstrahlt.
Véronique’s übergroßes Herz schlug immer laut in diesen Mauern und in diesem Garten. Wenn sie in der Küche hantierte, wobei sie stets laut zur endlos trällernden Radiomusik mitsang – – nun, sie kochte zum Glück weitaus besser als sie sang – – dann wusste ich, die Welt ist noch immer heil. Wenn ich ihr schwergewichtiges Hinterteil zwischen den riesigen Lavendelbüschen oder im Kräuterbeet entdeckte, schlich sich sofort die Vorfreude auf ein gutes Essen in meinen Magen, das allen Kummer vergessen machte. Und ihre eigene Freude konnte nicht größer sein, wenn man sie um eine zweite Portion bat.
Véronique ist nun schon lange tot – zehn Jahre sind es in diesem Herbst – aber ihr guter Geist durchwebt hier noch immer jede Pore. Heute bin ich es, die in der Küche steht, und auch wenn ich es vorziehe, keine Musik mehr über mein Essen zu gießen, so habe ich doch das Gefühl, sie führte mir die Hand. Hier noch etwas Öl, dort noch ein paar Kräuter… Sie ist allgegenwärtig. Wahrscheinlich werde ich eines Tages sogar noch anfangen, mit ihr zu sprechen. Wer weiß! – Meinem Vater, besagtem kauzigen Engländer, und auch Véronique würde das gefallen.
Sie waren ein fabelhaftes Paar – auch wenn sie niemals ein Paar waren. Ich weiß nicht einmal, ob ihnen das jemals in den Sinn gekommen ist: etwas miteinander anzufangen. Und ich weiß auch nicht, ob das etwas geändert hätte. Hier an diesem Ort ist alles einfach so, wie es ist. Ich stelle keine Fragen. Ich nehme alles, wie es kommt. Und das ist das wertvollste Vermächtnis, das mir die beiden hinterlassen haben.
Cachou, mein alter Labrador, zuckt im Schlaf mit den Pfoten. Er liegt lang ausgestreckt im Schatten unter meinem Tisch und träumt vermutlich von einer ebenso wilden wie erfolgreichen Jagd nach den Wildschweinen, die hier allabendlich ihr Unwesen treiben. Doch ich glaube, würde er ihnen tatsächlich einmal begegnen, wäre er sehr schnell wieder im Haus verschwunden. Er ist kein mutiger Wachhund. Selbst der fast tägliche Besuch des Postautos mit dem kaputten Auspuff lässt ihn jedes Mal aufs Neue zum Feigling werden. Alles Fremde wird lange aus sicherer Entfernung beäugt und es ist noch nie vorgekommen, dass er einen Besucher schwanzwedelnd begrüßt hätte. Er zieht es vor, mir die Arbeit des Aufpassens zu überlassen, und ich fühle mich geehrt, wenn er hin und wieder meinem Urteilsvermögen vertraut und seine Zurückhaltung etwas schneller aufgibt.
Wir sind ein merkwürdiges Duo – Cachou und ich. Wir leben hier in relativer Abgeschiedenheit, zwanzig Kilometer vom nächsten Dorf entfernt, und Avignon ist weit. Und doch haben wir beide hier alles, was wir brauchen. Mehr als wir brauchen.
Ich nehme etwas vom selbstgebackenen Brot und tauche es vorsichtig in das Schälchen mit dem goldgelben Olivenöl. Bernard, mein Nachbar, hat über zweihundert Olivenbäume, und die ganze Nachbarschaft hilft ihm alljährlich bei der Ernte. Natürlich kommen auch Cachou und ich, wobei Cachou mir die ersten zwei Stunden unermüdlich an den Fersen klebt aus Angst vor den vielen neuen Menschen, fremden Stimmen und Gerüchen. Irgendwann beginnt er sich dann tatsächlich zu entspannen, und am Abend, wenn wir alle zusammen an einer großen Tafel sitzen, trinken, erzählen, lachen und natürlich essen, dann liegt er irgendwo im Schatten eines Baumes und döst in den Abend.
Das Öl vom letzten Jahr ist gut – sehr gut.
Es schmeckt nach einem reichen Sommer, nach Sonne und Süden, nach dem Tal des Lubéron und auch ein wenig nach der Freundschaft der Menschen, die die Oliven zusammen geerntet haben. Es schmeckt nach Zuhause.
Ich lehne mich zurück zu schaue den kleinen Lichtpunkten zu, wie sie über den Kiesweg tanzen. Josette, Bernards Tochter, radelt am schmiedeeisernen Tor vorbei und winkt zu mir herüber. Ich lehne mich zurück und versinke in den Farben meiner Provence.
Das Klingeln des Weckers dringt aufdringlich zu mir durch. Ein neuer Arbeitstag in London beginnt für mich. Doch schon beim Zähneputzen fasse ich den Entschluss, endlich im Internet nach einem Haus in der Provence zu suchen.
Es wird Zeit. Cachou wartet dort auf mich…
„Ein Buch, prallvoll mit spannenden Begegnungen: Starke Frauen wie die Syrerin Adeeba oder die wunderbare Tante Pollack haben mir beim Lesen Rückenwind gegeben. In Eisverkäufer Gianni und den alten Herr Jacobi mit seinem zauberhaften Lächeln habe ich mich verliebt. Ich habe zwischen diesen Buchdeckeln so viel erlebt, wie schon lange nicht mehr „da draußen“. Wunderbar! Diesen Spaziergang kann man immer, immer wieder machen!“
Leserin Marlene
„Gänsehaut und Kloß im Hals: Grenzgängerin! So eine starke, wunderbare Geschichte – so viel Mut und Tiefe! Nicht viele Schriftsteller*innen trauen sich an so ein Thema. Danke dafür, liebe Karin Buchholz.“
Claudia P.,
ehrenamtliche Hospizmitarbeiterin
„Mit dem Stadtstreuner über Kopfsteinpflaster durch Hinterhöfe – das war mein persönliches Highlight! Tolle Überraschung am Ende…!“
Marcus H.
Ein besonderer Stadtspaziergang! […] Es sind Geschichten, die den Blick schärfen, um unsere Stadt einmal mit ganz anderen Augen zu sehen. Perspektivenwechsel. Starke Männerfiguren (Gianni, der Einsverkäufer aus „Gelato“ oder der Alte aus „Die Wunder des Herrn Jacobi“, ein namenloser „Fotograf“ oder Hannes, der alte Halunke) wechseln sich mit inspirierenden Frauengestalten ab („Adeeba“ aus Syrien, „Tante Pollack“ oder Püppi aus der Altbauwohnung hinter der Litfaßsäule). Sie alle zeichnen ein abwechslungsreiches und stimmungsvolles Bild der Menschen einer Stadt, und zwischen den Zeilen verbirgt sich immer wieder das unschätzbare Glück der klitzekleinen Dinge, das wir oft so leicht übersehen. – Wirklich sehr, sehr schön. Und auch das Cover ist einen zweiten Blick wert!
Jörg und Jutta M. aus Greifswald