Band 1 [Buch & Hörbuch]
gebundenes Buch
14 Kurzgeschichten | 140 Seiten
Format: 14,8 x 14,8 cm
ISBN 978-3-8391-5625-4
Art.Nr. KB-B-3
Hörbuch-Ausgabe
Studioaufnahme | Autorenlesung
2 CDs | ca. 150 min.
ISBN 978-3-00-030591-7
Art.Nr. KB-B-3a
ebook
ISBN 978-3-8482-8590-7
erhältlich im regulären Buchhandel
Verlag: BoD Norderstedt
Buch 16,75 €
Hörbuch 12,75 €
ebook 12,99 €
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Das Café liegt etwas oberhalb des kleinen Hafens, es schmiegt sich an den Hang und blickt über einige der vorgelagerten, tieferen Dächer hinweg auf die Bucht, in der die bunten Boote der Fischer neben den Ausflugsbooten für die Touristen auf den seichten Wellen schaukeln. Dieser Blick hat mich verzaubert – von Anfang an.
Und dabei ist das Café optisch gar nicht das, was ich mir früher für mich hätte vorstellen können. Es ist modern, hat gerade, puristische Formen und eine vollständig verglaste Fassade. Fenster von der Decke bis auf den Boden, in denen sich das Dorf und die Bucht spiegeln. Es wirkt mit seinen großen Glasflächen wie ein überdimensionierter Spiegel, der das Leben und Treiben des Dorfes reflektiert – und irgendwie ist ein Café ja auch genau das: ein Spiegel der Menschen, ein Ort, an dem sich alle treffen, wo sie reden, lachen, streiten, wo das Leben stattfindet.
Zuerst waren alle skeptisch – auch ich – ob jemals Besucher ins Café kommen würden. Doch inzwischen kommen sie: Touristen und Einheimische. Ja, ich habe es sogar geschafft, dass auch die Einheimischen gern hierher kommen. Sie diskutieren lautstark miteinander, wie es ihre Art ist, sie gestikulieren, verhandeln, schimpfen und vertragen sich. Oftmals geht es hier zu wie unten am Hafen, wenn die Fischer mit gefüllten Netzen vom Fang zurückkehren und lautstark ihre Waren anpreisen. Es ist laut und lebendig, es ist wunderbar!
In meinem früheren Leben hätte ich mir niemals vorstellen können, ein Café zu besitzen. Nirgendwo auf dieser Welt. Aber es müssen immer erst viele Dinge geschehen bis man erkennt, wo man hingehört und welcher Platz einem vom Schicksal zugedacht ist.
Mein Gott, ich höre mich an wie meine Großmutter! Als Kind habe ich mit großen Augen ihren Lebensphilosophien gelauscht und hatte stets das Gefühl, sie kämen aus einer längst vergangenen, nicht mehr aktuellen Zeit. Heute weiß ich, dass sich der Zauber des Lebens niemals ändert. Das Glücklichsein im Hier und Jetzt, das Glück des Augenblicks – das gilt es zu erfahren und mit allen Sinnen zu erleben. Nicht der Alltag mit seinen Notwendigkeiten, Erledigungen und Geschäften ist das eigentliche Leben. Er nimmt nur den größten Raum darin ein. Nein: Wenn es ein Glück gibt, dann das Glück, diesen Moment – jetzt gerade – ganz intensiv in sich aufzunehmen, zu spüren, wie gut es einem geht, wie sorglos dieser Moment ist. Im nächsten Moment kann schon alles anders sein. Niemals den Augenblick schon in der Vorausschau auf das nächste – oder gar in der Angst davor – vergeuden. Nichts kehrt wieder, alles ist einmalig…
Abends, wenn Ruhe im Dorf eingekehrt ist und die Familien gemeinsam in ihren winzigen Wohnzimmern sitzen und die kleinen Sträßchen leer geworden sind, dann wandert Licht durch mein Café. Es ist der Lichtkegel des Leuchtturms auf der anderen Seite der Bucht, der seit hundertsiebzig Jahren jeden Abend bei Dämmerung seinen Dienst aufnimmt und sein Licht in die Nacht entsendet. Es streift sanft über die Bucht, berührt kurz ein paar Häuser, und seine Lichtstraße gleitet dann für ein paar Sekunden einmal quer durch mein Café. Eine flüchtige Lichtspur auf dem Parkett, auf den Stühlen, dem Geschirr im offenen Wandregal. Ein paar Gläser blitzen auf, die Glasvitrine, in der tagsüber der Kuchen kühlt, die Messingschilder an den Kaffeeautomaten – kurze Reflexionen, die Welt draußen und drinnen sind für diesen kurzen Moment in Kontakt.
Dann sitze ich gern hier im Dunkeln und warte auf den nächsten Lichtstrahl. Ein paar kleine Lichter aus dem Dorf blinken im Dunkel der Nacht zu mir herüber und dieser Ort, der sonst so turbulent und voll von Menschen ist, gehört ganz allein mir. In dieser Stille schicke ich meine Gedanken auf die Reise, erinnere mich an das was war, träume über das, was noch kommen könnte. Hin und wieder nehme ich einen Schluck von dem einfachen Rotwein, esse eine Olive und lasse mich vom Licht des Leuchtturms berühren.
Ich möchte nirgendwo lieber sein als hier. Ich bin angekommen, und das nach einem Leben, in dem das Wort Heimat schon lange keine Bedeutung mehr hatte. Nach dem Tod meiner Großmutter und meiner Eltern war es nur noch eine diffuse, schemenhafte Ahnung von etwas Unerreichbarem, von dem ich wusste, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als es zu besitzen…
Mein Leben war immer voller Menschen, und doch war ich immer einsam. Hin und wieder höre ich noch von meinen Weggefährten aus alten Tagen – kleine Nachrichten, die mich erreichen wie eine Flaschenpost, über all die Ozeane hinweg, die zwischen mir und meinem bisheriges Leben liegen.
Dennoch erreichen sie mich.
Aber sie machen mir heute keine Angst mehr, wenn auch die Berührung mit der Vergangenheit immer wieder seltsam ist, so als sähe ich mich in einem alten, angelaufenen Spiegel, der meine Konturen verschwimmen lässt. Die Orte, an denen ich mein Leben verbracht habe, Pflegeeltern, Heime ziehen wie Schemen durch meine Erinnerungen. Deutlich geblieben allein ist die Erinnerung an Gerüche. Noch heute lässt mir der Geruch von Scheuerpulver eisige Schauer über den Körper laufen. Ich rieche ihn und den Geruch des Mannes, der in der dunklen Waschkammer auf mich gewartet hatte. Mein Pflegevater. Er roch immer nach Schweiß und in seiner Kleidung haftete der kalte Rauch seiner Zigaretten. Ich hielt die Luft an, schloss die Augen…
Die Erinnerung daran ist klamm und eng, wie eine zu klein gewordene Haut, die sich fest um meinen Körper zieht… Dunkle Schatten, die wohl nie ganz verschwinden werden.
Kürzlich bekam ich eine Postkarte von Katharina. Sie war auch Pflegekind in meiner neuen Familie. Sie lebt heute in Kanada, weit fort, am anderen Ende der Welt – genau wie ich. Nachdem alles vorüber war, haben wir den halben Globus zwischen uns und unsere Vergangenheit gebracht, und doch verbindet uns ein Band, das stärker ist als das neue Leben, das wir uns aufbauten. Stärker als wir selbst und unauslöschbar.
Er ist tot.
Niemand hat je die Wahrheit erfahren.
Sein Leben gegen unsere.
Wir haben uns entschieden.
Gemeinsam.
Damals.
[…] “Das blaue Kleid” und “Der Leuchtturmwärter”: Großartig, sehr, sehr schön. […] Die Geschichten zwingen ja zum intensiven Zuhören. […] Von der Autorin selbst gesprochen – auch das beherrschen Sie. Ich bin sehr angetan. “Das blaue Kleid” ging mir sehr nah. Diese Geschichte entwickelt sich ja sehr langsam, sehr poetisch und wird dann ganz plötzlich real. […] Sie beschreiben Meer & Strand präzise und dennoch liebevoll poetisch. Sie versetzen den Leser/Hörer vom Sessel direkt in den Sand!
Leser Wolfgang H.
Karin Buchholz’ Geschichten verbinden die tiefen Fragen des Lebens mit der Tiefe des Meeres. Am Schnittpunkt der beiden Elemente Land und Wasser angesiedelt, erzählen sie von Umsturzpunkten, den Einschnitten und den Wendepunkten in unser aller menschlicher Lebensgeschichte. Die Themen sind jedem Hörer vertraut – deshalb gehen die Texte uns auch so nahe. Dies funktioniert durch die pointierte aber schnörkellose – weil norddeutsch-trockene – Prosa der Autorin.
Stefan Langfeld
So viele Bilder habe ich im Kopf, seit ich dieses Buch vor etwa zwei Jahren gekauft und schon mehrfach gelesen habe! Lebendige Bilder von den Vorkommnissen, Menschen, Orten, die ich zwar selbst nicht erlebt habe, die Sie aber so wunderbar plastisch beschreiben, dass man sie irgendwie doch selbst erlebt. Es sind echte Zuhörgeschichten, die Sie da zwischen die Buchdeckel gebracht haben, und die CD ist auch superschön (ich habe sie schon mehrfach verschenkt). Sie haben eine interessante Stimme – ich könnte mir vorstellen, dass sie „live“ bei den Lesungen noch besser rüberkommt als bei dieser Studiolesung. Dieses Buch lohnt sich – ist aber nichts für „zwischendurch“. Man muss sich darauf einlassen.
Sylvia K., Gelsenkirchen
per eMail