Vielleicht doch Weihnachten?

[…]

Caroline tauchte vor zwei Jahren zum ersten Mal hier an meinem Stand an der Hafenmole auf. Eine ganze Weile beobachtete sie mich vom Zaun her, bis sie schließlich näher kam. Sie schlenderte durch die Baumreihen, ihre Händestreiften dabei vorsichtig die grünen Nadelfinger, und sie atmete immer wieder tief den Duft von Harz und Winterwald ein, der sich hier mit den typischen Hafengerüchen mischt. Ich erinnere mich, dass ich viel zu tun hatte an diesem Tag, aber als ich mich nach einer ganzen Weile wieder umsah, war sie noch immer da.

„Hallo“, sagte ich schließlich und warf ein paar abgeschnittene Tannenzweige neben ihr auf einen Haufen.

„Hallo“, antwortete sie. Ihre großen, dunkelbraunen Augen sahen mich direkt an, keine Spur von Schüchternheit oder Angst. „Du hast aber noch viele Bäume“, sagte sie und blickte sich um. „Es sind doch nur noch drei Tage bis Weihnachten.“

„Ich weiß“, hatte ich geantwortet, „dieses Jahr laufen die Geschäfte nicht so gut.“

„Aha“, sagte sie, aber es klang nicht so, als wollte sie sich damit zufrieden geben. Nach einer Weile sagte sie: „Aber brauchen denn nicht alle Menschen einen Weihnachtsbaum?“

Sie wischte ein paarmal über das kleine Tischchen, das neben meinem Wohnwagen stand, schob die Baumschere und meine Arbeitshandschuhe zur Seite und setzte sich rittlings auf die Tischplatte. Ihre Beine baumelten herunter, und sie steckte die Hände in die Taschen ihres roten Mantels, während sie mich fragend ansah.

„Na ja, weißt Du, nicht jeder feiert Weihnachten. Und so hat auch nicht jeder einen Baum“, erklärte ich.

„Aber dann ist es doch gar kein richtiges Weihnachten!“ stellte sie mit Nachdruck fest. „Wo legen die denn dann die Geschenke hin?“

„Ach weißt Du, manche Menschen bekommen auch gar keine Geschenke. Sie leben alleine oder haben keine Familie, niemanden, mit dem sie feiern können …“

„Das ist traurig“, sagte sie, und für einen Moment hörten ihre Beine auf zu baumeln. „Und mit wem feierst Du?“ fragte sie dann. Ich grinste etwas irritiert. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Na ja, ich bin auch alleine“, sagte ich. „Ich habe auch keine Familie.“

Lange schaute sie mich mit ernster Miene an und sagte dann, Weihnachten müsse man aber unbedingt trotzdem feiern – schließlich kämen da alle Sterne und Engel des Himmels auf die Erde …

[ Fortsetzung im Buch]